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Kritikenrundschau: The Same Game – Das Ding an sich

Mit den Dingen ist es ja so eine Sache: Manchmal sind sie nicht, was sie scheinen; manchmal scheinen sie zu sein, was sie sind – und sobald man mit Philosophie oder Quantenmechanik anfängt, läuft sowieso alles völlig aus dem Ruder und man kann froh sein, wenn der Tisch, an dem man sitzt, überhaupt noch ein Tisch ist. „The Same Game“ (Wolfgang Warsch bei Pegasus Spiele / Edition Spielwiese) sucht das Wesen der Dinge in dem, was sie nicht sind. Unsere Jurymitglieder haben sich auf der Agora der Spielkritik getroffen, um über die Philosophie des Partyspiels und das Ding an sich zu debattieren.

„Wir ordnen die Welt“, erklärt Udo Bartsch das Spiel: „15 verschiedene Kategorien gibt es. Leichtere lauten ‚Länge‘ oder ‚Preis‘, komplexere sind ‚Verwendungsdauer‘ oder ‚Erkläraufwand‘. Abhängig vom gewählten Schwierigkeitsgrad stehen sechs bis neun davon zur Debatte, die Zusammensetzung ist in jeder Partie etwas anders. Alle am Tisch bekommen geheim eine der Kategorien zugelost, mehrere Personen können auch dieselbe haben. Und alle ziehen eine Objektkarte, auf der ein Begriff wie beispielsweise ‚Aquarium‘, ‚Ganzkörperspiegel‘ oder ‚Heißluftballon‘ steht. Nehmen wir an, ich ziehe ‚Pizzaroller‘. Meine Aufgabe ist nun, mir ein weiteres Objekt auszudenken, das sich in allen ausliegenden Kategorien möglichst deutlich von einem Pizzaroller unterscheidet, in der einen mir zugelosten Kategorie – sagen wir, es sei ‚Bewegung‘ – jedoch nicht. Meine Mitspielenden sollen diese Kategorie erraten.“

„‚The Same Game‘ kreiert zuverlässig tiefschürfende philosophische Diskurse, die zugleich feinsten Nonsens zelebrieren“, schreibt Bartsch. „Voller Leidenschaft wird minutenlang argumentiert und abgewogen, ob der Erkläraufwand der Bedienung eines Weckers größer oder kleiner sei als der eines Jagdgewehrs. Ob Wasserwaagen oder Winkel wichtiger für die Menschheit sind. Ob Zahnimplantate weltweit häufiger vorkommen als Kletterseile.“ Das geschehe in einem „Debattierclub auf Augenhöhe“, findet Bartsch – es ginge weder um Fachwissen noch um feststehende Antworten. „‚The Same Game‘ wirft Fragen auf, die wir uns nie zuvor gestellt hatten. Es inspiriert uns zu Gedanken, die wir nie zuvor gedacht haben. Wir dringen in neue Erkenntniswelten vor. Was also sollte ‚The Same Game‘ sein, wenn nicht Philosophie?“ Gleichzeitig sei es aber auch ein Partyspiel. „Es ist Haarspalten um des Haarspaltens willen, Denken um des Denkens willen, Blödeln um des Blödelns willen. Spielen um des Spielens willen.“¹

„Normalerweise sind Spiele gut, die einfach zu erklären und schwer zu bewältigen sind. Hier ist es andersrum: Das Spiel zu erklären ist extrem schwierig“, sagt Julia Zerlik. Wenn man das Spiel allerdings erst einmal verstanden habe, sei es „ein tolles Spiel und eine tolle Idee“. Zerlik mache es „Spaß, die Hütchen hochzuheben und zu hoffen“. Dadurch ergäben sich regelmäßig Spannungsmomente. Auch die enthaltenen Begriffe findet Zerlik gut gewählt, „weil sie nicht so einfach sind“, meint sie. „Es ist teilweise herausfordernd, je nachdem, welche Kombination man bekommen hat.“ So sei es in ihren Runden durchaus zu Partien gekommen, in denen die Runde verloren habe. „Aber wir hatten trotzdem Spaß“, sagt Julia Zerlik. Punkte seien da aber in den Hintergrund gerückt, weil das Raten so viel Spaß gemacht habe. „The Same Game“, findet sie, sei ein „ganz tolles Spiel, wenn man mal diese Regeln durchdrungen hat“. Das allerdings dauere einen Moment.²

Geraten würde in „The Same Game” mit Freude, beobachtet Harald Schrapers in seinen Runden. Zwar findet er das Spiel mitunter etwas „‚überproduziert‘, aber die Anleihe ans Hütchenspiel störe auch nicht. „Das Spielbrett, auf der eine einfache Punktewertung stattfindet, ist klug gestaltet.“ Überraschend findet Schrapers die neue Herangehensweise von „The Same Game“, die sich von anderen kooperativen Wortratespielen abhebe. „Das sorgt am Tisch für eine lebendige Stimmung, es wird debattiert, widersprochen, vermutet. Selbst Leute, die eigentlich gar nicht mitspielen, mischen sich ein“, urteilt er.³

„Die erste Phase des Spiels, in der sich jeder sein Pärchen überlegt, die kann sich manchmal ganz schön ziehen“, findet Nico Wagner in einer Kurzbesprechung. „Aber wenns dann losgeht, finde ich, entstehen da richtig gute Dinge.“ Die sind für Wagner vor allem die „witzigen und interessanten Metadiskussionen“, die das Spiel provoziert. Oft sei es allerdings nicht einfach zu lösen: „Wenn du komplexere Kategorien drin hast, ist es oft nicht eindeutig“, sagt Wagner. „Es hängt stark davon ab, was ausliegt.“

Stephan Kessler fühlt sich von „The Same Game“ zu einem „kreativen Denkprozess“ angeregt. „Und zwar nicht nur bei der tippgebenden Person, sondern auch bei der Gruppe. Wie denkt mein Gegenüber über Staffeleien? Ist eine Armbrust wichtiger für die Menschheit als eine Bohrmaschine? Und wie sieht es beim Verwendungszweck aus – beides produziert Löcher in der Wand! Die daraus resultierenden herrlich absurden Diskussionen sind das Herzstück des Spiels“, schreibt Kessler. Gut gefallen ihm „die kurzen emotionalen Schockmomente, wenn der Becher das Geheimnis lüftet. Da wird es für Sekundenbruchteile ganz still am Tisch, nur um sich dann erleichtert zu bestätigen oder verwundert den bis dahin stillen Tippgeber fragend anzublicken. Reines Gimmick sind diese Becher wirklich nicht“. Allein die Grafik auf der Spieleschachtel findet Kessler überfrachtet. Ansonsten aber urteilt er: Das Spiel „verbindet geschickt kreative Prozesse mit absurden Diskussionen. Sind die Verbindungen jedoch zu eindeutig, dann kann das Spiel nicht zeigen, was es kann. Und man darf nicht unterschätzen, dass das Konzept oft schwierig zu verstehen ist. Nimmt man diese Hürde, wird man mit einem tollen Gruppenerlebnis belohnt. ‚The Same Game‘ ist trotz seines Namens nicht wie jedes andere Spiel, sondern durchaus besonders!“

Johanna France sieht in „The Same Game” ein „super spannendes Spielkonzept. Ich habe in wenigen Spielen so lustige und so tiefgründige Diskussionen gehabt.“ Es gehe tief hinein „in die Essenz von Gegenständen“. Diese Diskussionen machen sie „wirklich glücklich“, sagt sie. Zu Bedenken gibt sie allerdings, dass das Spiel nicht für jeden und jede etwas sei: „Es gibt Personen, was so ein Spiel mit sich bringt, für die dann ein unangenehmer Druck entsteht sich jetzt einen guten Begriff zu überlegen.“ Sie selbst findet „The Same Game“ „großartig“, es sei aber nichts, „wenn man sich mit dieser Art von Kreativität schwertut“.

Für Manuel Fritsch ist „The Same Game“ „ein Partyspiel im weitesten Sinne, vielleicht eher ein Kommunikationsspiel“. Auch er findet, dass das Spiel schwer zu erklären sei, „das könnte auch eine Hürde sein“. Aber: „Wenn man einmal drin ist, hat es eine sehr große Faszination.“ Die Punkte spielen für ihn eine untergeordnete Rolle, „denn die meiste Energie steckt man in diesem Spiel in die Wortfindung“. Das Besondere des Spiels zeigt sich für ihn zwischen den Spielerunden: „Als derjenige, der was aufgeschrieben hat die Runde dabei zu beobachten, wie sie diskutiert“, ist für ihn der größte Spaß. „Das sind Diskussionen, die hättest du ohne ‚The Same Game‘ nie geführt.“ Für Fritsch ist es „ein Wortspiel für Leute, die Bock haben auf etwas komplexere Partyspiele“. Insgesamt findet er: „Schönes Ding.“

Auch in unserem Podcast war „The Same Game“ Thema. „Da fängt der graue Klumpen im Kopf an zu rattern“, sagt Christoph Schlewinski dort. „Das finde ich ganz beeindruckend an dem Spiel.“ Karsten Grosser findet die „Absurdität“ der entstehenden Diskussionen „sehr lustig“. Für Michaela Poignée wird das Spiel „nach hinten raus richtig schwer“.

¹ Spielbox 7/23: Jacke wie Hose
² Spiel doch mal…: The Same Game
³ Games We Play: The Same Game
Brettagogen #222
Krimimaster: The Same Game – Same, Same But Different
Wienxtra: Wühlen im Heuhaufen und spazieren im Mischwald – unsere herbstlichen Spieletipps!
Insert Moin: Le Brett vom 15.3.2024 (kostenpflichtig)
Das spielerische Quartett #20

Kritikenrundschau: Bücher der Zeit – geordnetes Zeitenwenden

In interessanten Zeiten zu leben ist ja so eine Sache – vor allem, weil das ganze Zeiten-Chaos auch noch sortiert werden muss. Wie gut, dass es in „Bücher der Zeit“ (Filip Głowacz bei Giant Roc) praktische Aktenordner dafür gibt. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien in die Archive begeben, um die Zeitenwenden fein säuberlich abzuheften. Und dabei vielleicht auch ein paar kritische Aktennotizen zu hinterlassen?

„Wir verwalten alle je drei dieser Ordnerchen, ein gelbes, ein grünes, ein rotes, fein sortiert nach Fachbereichen: Handel, Wissenschaft und Industrie“, schreibt Maren Hoffmann. „Im Spiel ist diese Zuordnung aber völlig ohne Belang. Wer Thema braucht, wird nicht am Tisch bedient, sondern muss es sich selbst aus dem Hintergrundteil des Anleitungsheftes holen.
In unseren Ordern können wir Seiten mit jeweiligen geschichtlichen Errungenschaften abheften, klackklack. Das befriedigt Sammelwut, Ordnungsdrang und Planungsliebe gleichermaßen. Im Grunde geht es um Tableau-Bau (und letztlich natürlich um Siegpunkte) – nur dass in diesem Fall ein haptischer Aspekt hinzukommt, der Form und Inhalt in eine angenehme Kongruenz bringt“, beschreibt Hoffmann das Spiel. „Für jede eingeheftete Seite in unserer Buchhaltung werden wir mit einem kleinen Sofortbonus belohnt. Außerdem werden jede Runde weitere Goodies ausgeschüttet: Die Chronik (ok, ein weiteres Ringbüchlein) hält den Fortschritt der Partie fest – nach der letzten Seite ist Schluss. Das Ende der Partie wird fristgerecht durch einen Einleger angekündigt, der darauf aufmerksam macht, dass nun die letzten drei Seiten kommen. Jede in der Chronik neu aufgeschlagene Seite lässt uns die Wahl zwischen zwei Belohnungen, die allerdings nicht immer komplett gratis sind. Manche muss man bezahlen, für andere bestimmte Voraussetzungen erfüllen.“

Voll des Lobes ist Maren Hoffmann zunächst für das Material: Es sei „klar strukturiert, intuitiv verständlich und erfreulich stabil“. Und: „Auch nach etlichen Partien reißen die Lochungen nicht aus. Vorbildlich auch die Aktionsübersichtskarten und das kleine Papp-Pult für die zentrale Chronik.“ Für Hoffmann ist „Bücher der Zeit“ ein Spiel, das gute Planung und Ressourcenverwaltung erfordert, dabei gleichzeitig aber viele Möglichkeiten biete. „Es gefällt mir ausnehmend gut, dass ‚Bücher der Zeit‘ elegant viele Mechanismen verwendet, ohne dass es allzu kompliziert wird: Wir müssen in unseren Büchern Sets sammeln, mit besonders wertvollen Seiten unsere Engine aufbauen, zuweilen auf die richtige Reihenfolge der Seiten achten, aber durch die sechs verschiedenen Aktionsmöglichkeiten ist nichts davon alternativlos“, schreibt sie. „Das macht Lust, verschiedene Strategien auszuprobieren; und das Überraschungsmoment der Chronik-Goodies zwingt uns zu verwaltungsuntypischer Flexibilität.“ Dazu käme eine „kleine Asymmetrie, die durch die verschiedenen Sets an Meilensteinen entsteht: Jeder und jede hat eigene Ziele im Visier – und kann sie sich siegpunktträchtig hoher stecken, wenn er oder sie auf gutem Wege ist“. Hoffmann hat Spaß an den „kleinen, buchhalterischen Freuden“, die die „Bücher der Zeit“ bieten.¹

Julia Zerlik und Christoph Schlewinski haben sich zu zweit an die Buchhaltung der Zeit gemacht. „Es ist nichts für Spieler, die ein Problem mit zu vielen Optionen haben“, sagt Julia Zerlik. Hier lohne es sich, vieles im Voraus zu planen, bei einer schier unendlichen Auswahl an Möglichkeiten. Das kann bei manchen Spielern Analyse-Paralyse auslösen, weil die Optionen an Dingen, die du tun kannst, enorm sind.“ Dadurch wiederum könne viel Wartezeit entstehen. Entsprechend findet sie, „Bücher der Zeit“ gewinne nicht durch mehr Spieler:innen: „Mir gefällt es zu zweit fast am besten“, sagt Zerlik. Ihr sagt auch das Material zu, „es ist mal was anderes, es ist stimmig“, begründet sie. Am Ende lautet Zerliks Urteil: „Das ist meine Art von Spiel, und toll umgesetzt.“
Ganz besonders gefällt Christoph Schlewinski an „Bücher der Zeit“ die Aktionsübersichtskarte. „Ich war nach der ersten Runde sehr angetan, und das hat sich bis jetzt gehalten“, sagt er. Anfangs meine man, man habe „so einen Brocken“ auf dem Tisch. Dem sei aber nicht so, was zu einem großen Teil an der Übersichtskarte läge. „Die Symbolik ist wahnsinnig klar“, sagt Schlewinski. „Deswegen habe ich das Spiel auch schon Leuten zugetraut, die vor sowas normalerweise wegrennen.“ Dass „Bücher der Zeit“ viele Möglichkeiten biete, sieht er auch. Deswegen sei die angegebene Spielezeit von 45 bis 60 Minuten allerhöchstens zu zweit einzuhalten. „Das dauert dann vielleicht 80 Minuten, aber das ist für so ein Spiel auch nicht zu viel“, sagt Schlewinski. Insgesamt beurteilt er das Spiel „super, weil die Idee frisch ist, weil das alles schön offen ist und weil man durch dieses Einheften ein ganz anderes Handling hat“.²

„Die Übersicht hilft einem wirklich“, findet auch Michaela Poignée. Ebenso lobt sie die klar geschriebene Anleitung, die zusätzlich noch viele Hintergrundinformationen biete. Allerdings sei die auf der Packung angegebene Spieldauer von 45 bis 60 Minuten nicht realistisch. Das Spielthema gefällt ihr: „Wir haben Stift und Papier als Ressourcen, wir könnten Seiten schreiben, wir können Umblättern.“ Eher kritisch sieht sie die wenigen Interaktionsmöglichkeiten: „Interaktion ist nur insofern gegeben, dass einem dauernd Seiten aus der Auslage geklaut werden.“ Das passiere aber eher unabsichtlich. Insgesamt bewertet Poignée „Bücher der Zeit“ aber positiv. Durch die vielen verschiedenen Aktionsmöglichkeiten sowie die unterschiedlichen Ziele ergebe sich für sie ein hoher Wiederspielreiz. Und das Spielmaterial sei „haptisch total klasse“.³

„Das eigentliche Spiel bietet wenig neues“, findet Tobias Franke. „Wir versuchen unsere Aktionen zu optimieren, um dann am Ende über hochwertige Sets viele Punkte zu erreichen. Ganz oft tauschen wir dabei Ressourcen in andere, nur um damit dann neue Seiten in unsere Bücher einbauen zu können. Insgesamt fehlt mir dabei ein wenig der Deckbau-Aspekt, den ich mir eigentlich von der Mechanik erhofft hatte.“ Auch in seinen Runden wird die angegebene Spielzeit regelmäßig überschritten. „Im 4 Personenspiel schaue ich aber größtenteils den anderen beim Denken zu, was selten interessant ist. Aus diesem Grund würde ich in ‚Bücher der Zeit‘ in Zukunft nur noch maximal zu dritt spielen, am besten gefällt es mir als 2-Personen-Spiel“, schreibt Franke. „Dementsprechend überrascht es nicht, dass dem Spiel noch eine ausführliche Solo-Kampagne beiliegt. Ohnehin ist ‚Bücher der Zeit‘ ein weiterer Vertreter der weit verbreiteten Multi-Player-Solitär-Spiele – was ich wertfrei verstanden wissen will.“ Auch Franke gefällt die Aktionsübersicht sowie die Aufgabe, die ihm das Spiel stellt. „Für Abwechslung sorgt übrigens auch die zufällig zusammengestellte Chronik, bei der auch nicht immer alle möglichen Seiten für eine Partie benutzt werden“, schreibt er. „Dieses verspielte Element hat ohnehin mein Herz gewonnen! Es ist ein schöner Einstieg in die aktuelle Runde, eine Seite darin umblättern zu dürfen. Sofort springt dann die Optimierungsmaschine in meinem Kopf an, um die dortigen Möglichkeiten perfekt in meinen kommenden Spielzug zu integrieren.“
„Top“ findet Franke die Ausstattung des Spiels: „Die kleinen Akten-Ordner erfüllen perfekt ihren Zweck, auch wenn wir vorsichtig im Gebrauch sein sollten – all zu schnell sind mal die Fingerkuppen eingeklemmt. Aufgrund des unverbrauchten Themas und der unterstützenden Gestaltung haben wir dabei glücklicherweise auch nicht das Gefühl, in einer Amtsstube zu sitzen und Akten abzuarbeiten.“ Lobenswert findet er die redaktionelle Auswahl der vorgestellten Personen und Ereignisse. Diese vermeide einen „einen allzu westlichen und männerdominierten Blick“. Am Ende bleibt für Franke jedoch „das schale Gefühl, dass nicht alle Potenziale vollständig genutzt wurden. Statt auf eine clevere Seiten-Abfolge in den Büchern setzen zu müssen, sind wir bestrebt, mit purer Masse erfolgreich zu sein.“

¹ Spielbox 7/23: Verbuchte Erfolge
² Spiel doch mal…: Frisch vom Tisch Vol. 60
³ Die Brettspieltester: Bücher der Zeit
Fjelfras.de: Kritisch gespielt: Bücher der Zeit

Mannheim 2024: vom eigenen Text über den Spielbrettrand hinaus

TdB

Wenn man so möchte, war es eine Veranstaltung über Blicke. 75 Spielekritiker:innen waren zum dritten Tag der Brettspielkritik gekommen, der in Mannheim stattfand. Und sie alle waren da, um einmal nicht unbedingt nur Spiele zu betrachten. Sondern in Arbeitsgruppen, Podiumsgesprächen und Gesprächsforen ihre eigenen Texte, Podcasts und Videos. „Wer über Spiele kritisch spricht, muss sich dabei auch bewusst sein, dass er wie ein Journalist rezipiert wird – und ganz egal, ob man sich selbst als solcher versteht oder nicht“, leitete Spiel des Jahres-Geschäftsführer Guido Heinecke die Veranstaltung in seiner Einführungsrede ein.

Heinecke, Bladukas

Guido Heinecke (Spiel doch) und Efka Bladukas (No Pun Included) plädieren für einen New Boardgame Journalism

„Heutzutage sollte sich jeder Medienschaffende – egal ob Journalistin, Influencer oder Podcasterin – dieser Verantwortung bewusst sein. Und sich damit auch als anfänglicher Laie dafür interessieren, das eigene Handwerk zu verbessern.“ Gleichzeitig plädierte Heinecke für mehr Diskurs unter Brettspielkritiker:innen: „Wer echten Spielejournalismus betreiben will, der soll wissen, was die Kollegen sagen und urteilen – und darf auch die intramediale Kontrollfunktion, die jedem Medienschaffenden zusteht, ein Stück weit ausüben.“
In seiner Keynote ergänzte Efka Bladukas, der den renommierten englischen YouTube-Kanal „No Pun Included“ betreibt: „Wir müssen Expert:innen der Brettspielkritik werden.“ Er plädierte dafür, das Brettspiel als Kulturgut zu sehen – und in der Brettspielkritik auch zu erkunden, wo und wie das Spiel kulturell einzuordnen sei.

Podiumsdiskussion

Brettspiel in Bild und Ton: Nicola Balkenhol (Deutschlanradio), Stephan Kessler (Brettagoge), Christian Köhne (Format C) und Nico Wagner (Brettagoge) im Gespräch

Genau dies waren auch die zwei Blickrichtungen, die in der Folge in den einzelnen Arbeitsgruppen und Foren vertieft wurden: der Blick in den eigenen Text und der Blick über den Rand des Spielbrettes hinaus.

Praktische Tipps

Dafür gab es auch praktische Tipps: Spiel des Jahres-Jurymitglied Maren Hoffmann beschäftige sich in ihrer Arbeitsgruppe „Diamantschliff – Teaser funkeln lassen“ mit Überschriften und der Frage, wie sich das Publikum damit überzeugen lässt, sich eine längere Kritik anzuschauen. Beides müsse deutlich machen, worum es in dem Text geht und die Aufmerksamkeit der Leser fordern. „Ein guter Text ist meistens Teamwork“, hieß es bei ihr – sie regte eine gemeinsame „Teasercheck“-Gruppe für die Teilnehmenden an.

Podiumsdiskussion

Andreas Becker (Spielbox), Maren Hoffmann (Spiegel), Karsten Grosser (Neue Osnabrücker Zeitung), Fabian Ziehe (SWR) und Daniel Wüllner (Süddeutsche Zeitung) debattieren über Brettspielkritik heute

Der SWR-Journalist Fabian Ziehe stellte in seiner Arbeitsgruppe „Kurz, lebendig und verständlich formulieren“ seine „7 ½ Punkte für gutes Texten“ vor. „Permanente Störungen sind die Regel“, sagte Ziehe. Weil die Aufmerksamkeit des Publikums ständig gehalten werden muss, seien einfach Sätze und starke Verben das Mittel der Wahl. Man solle die Leser:innen „lieber durch Texte führen als drängen“. Auch sich selbst den Text laut vorzulesen, könne hilfreich sein.
Daniel Wüllner, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, beschäftigte sich mit Textstruktur. „Eine gute Struktur“, so Wüllner, „hilft den Lesenden, Orientierung zu finden“. Er plädierte dafür, auch mal mit Strukturen zu experimentieren – ein Fazit oder eine Spielewertung müsse nicht immer am Ende eines Textes stehen.

Podiumsdiskussion

Was macht das Spiel mit den Menschen? Valentin Köberlein und Sarah Klöfer (Uni Konstanz) sowie Tobias Franke (fjelfras.de), Wiebke Waburg (Uni Koblenz) und André Maack (Ravensburger) sprechen über Realität und Theater, Diversität und Kolonialismus

Aber die Inhalte müssen auch ans Publikum gebracht werden: „Die Hälfte eines Podcasts ist Inhalt, die andere Hälfte Distribution“, sagte Deutschlandradio-Journalistin Nikola Balkenhol während des anschließenden Podiumsgespräches. „Ich muss die Nutzungszahlen nicht nur regelmäßig anschauen, sondern auch verstehen.“
Sowohl YouTuber Christian Köhne als auch die Podcaster und Jurymitglieder Niko Wagner und Stephan Kessler plädierten für mehr Mut zum Experiment: „Das ist auch meine Bühne, auf der ich Dinge ausprobieren darf“, so Köhne. Wagner meinte, ein Podcast könne – statt einer trockenen Spieleerklärung mit Bewertung – „dem Publikum die Emotion und das Erlebnis näher bringen“.

Schrapers

Harald Schrapers (Spielbox) weist auf den Zusammenhang zwischen dem Kulturgut Spiel und dem Kulturgut Spielen hin: Es geht um das Game und das Play

Allerdings dürfe, sagte Maren Hoffmann in der anschließenden Podiumsdiskussion, die Zugänglichkeit nicht leiden. Eine gute Spielrezension sei „wie ein Jump ’n’ Run-Spiel“, und so ermutigte sie: „Man muss den Leser immer auf die nächste Ebene mitnehmen.“ Hoffmann sieht jedenfalls ein „goldenes Zeitalter der Brettspielkritik“ heraufziehen. „Die Kritiken werden uns aus den Händen gerissen“, sagte sie. Grund sei in Zeiten der multiplen Krisen das Bedürfnis der Menschen nach Eskapismus und Handlungsfähigkeit. Andreas Becker, Chefredakteur der Spielbox, ist da nicht so optimistisch: Die Verkaufszählen gingen zwar nach oben, aber man müsse abwarten, ob sich dieser Trend verfestigt.

Auf der anderen Seite des Spielbretts

Nach dem Blick auf die eigene Produktion war der Nachmittag dem Blick in die Kontexte gewidmet: Diversität, Kolonialismus, Spiel und Realität sowie Spiel und Theater standen auf dem Programm. „Meine Mission: Spielen für alle“, sagte Wiebke Waburg, Professorin für Pädagogik an der Universität Koblenz, in ihrer Diskussionsrunde zum Thema Diversität in Spielen. Unterschiedliche Perspektiven müssten als bereichernd und nicht als defizitär angesehen werden. „Es geht immer auch um die Wertschätzung von Ressourcen“, sagte Waburg. Hier sei Selbstreflexion wichtig – Spiele bildeten oft wenig diverse Figuren ab. „Wie können wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, dass sich etwas ändert?“ sei, so Waburg, eine wichtige Frage für Brettspielkritiker:innen. „Die Gesellschaft verändert sich, aber es ist noch viel zu tun“, ergänzte sie im Podiumsgespräch. Ähnlicher Ansicht war auch André Maack, Game Development Manager bei Ravensburger: „Da sind noch viele Hausaufgaben zu machen. Für alle Verlage“, sagte er.

Wirag

Spiel und Kulturkritik: Lino Wirag (utopia.de) möchte, dass Brettspiele gelesen und interpretiert werden

Spiele spiegelten immer auch einen Zeitgeist, erklärte Valentin Köberlein, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz, und habe auch immer etwas mit der „gelebten Realität außerhalb des Spiels“ zu tun. Spielkritik könne deshalb auch Gesellschaftskritik sein.
Das Spiel hat auch Berührungspunkte mit dem Theater, erklärte Sarah Klöfer, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz: „Die Gemeinsamkeit von Spiel und Theater ist, dass sie flüchtig sind.“ Kein Spiel sei wie das andere, keine Theateraufführung sei eine exakte Wiederholung. Aber: „Ich habe im Spiel eine viel größere Selbstwirksamkeit als im Theater.“

Und darüber hinaus

Noch weiter vom Spielbrett blickte Kulturwissenschaftler Lino Wirag in seinem Abschluss-Impuls: „Wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, dass Brettspiele gelesen werden können“, erklärte er. „Und mit Lesen meine ich: Interpretation.“ Als Kulturgut würden sie sich nicht von Büchern, Filmen oder Theater unterscheiden. Wer ein Spiel kritisiert, trete damit in ein Verhältnis. Wirag lieferte in seinem Impuls auch gleich einen Schwung „Cheat-Fragen“ mit, die die Interpretation eines Spieles einfacher machen können: Psychologische Lesarten seien möglich, die Frage, was dieses Spiel einzigartig mache. Man könne sich auch fragen, was noch niemand anders an dem Spiel gesehen habe. Für ihn seien das alles wichtige Werkzeuge im Handwerkskoffer von Kritiker:innen.

Klinge, Ullmann

Heiko Klinge (Gamestar) und Katrin Ullmann (Nachtkritik) sorgen für den Blick über den Spielbrettrand: vom Videogame zum Theaterspiel

Ähnlich sah es in der Abschlussdiskussion auch die Theaterkritikerin Katrin Ullmann: „Die Interpretation ist die wichtigste Zutat an einer Theaterkritik“, sagte sie. Heiko Klinge, Gamestar-Chefredakteur und Computerspielkritiker, mahnt hier allerdings zur Vorsicht: „Unser Job ist es in erster Linie, den Leuten dabei zu helfen, ihre wertvolle Freizeit zu gestalten“, riet er. Allerdings: „Es ist nicht zuträglich, wenn man nur auf die Zahlen schaut.“ Es gebe ganz unterschiedliche Möglichkeiten, sich einem Medium zu nähern.
Einen optimistischen Schluss gab Maren Hoffmann den auf Einladung des Spiel des Jahres e.V. in den Delta Park Mannheim gekommenenen Teilnehmenden mit: „Ihr seid die Speerspitze des goldenen Zeitalters der Brettspielkritik!“

Jan Fischer

Videomitschnitte der Vorträge und Podiumsgespräche sowie Materialien werden im Laufe der nächsten Wochen veröffentlicht.

„Angespielt“ in Neukirchen-Vluyn

40 Tische, 50 verschiedene Spiele, 350 Spielende: Das ist die Bilanz des Brettspieltages „Angespielt“, veranstaltet von der evangelischen Kirchengemeinde im nordrhein-westfälischen Neukirchen-Vluyn. Die Veranstaltung, unterstützt mit einem umfangreichen Spielepaket der Initiative „Spielend für Toleranz“, fand im dortigen Gemeindesaal statt.

Viele Gäste, positives Feedback: Spielen in Neukirchen-Vluyn

„Die Rückmeldungen waren durchweg positiv“, schreiben die Veranstalter. „Von jeder Gruppe gab es die volle Punktzahl für den Tag.“ Eine ukrainische Mitarbeiterin brachte viele ukrainische Gäste zu der Veranstaltung mit. „So wurden teilweise auch Spiele auf Ukrainisch oder Englisch erklärt“, schreiben die Veranstalter.

Spieleerklärer:innen erklären Spiele mehrsprachig

Anwesend war bei der Veranstaltung auch der Spieleautor Michael Menzel, unter anderem Autor der ausgezeichneten Spiele „Robin Hood“ und „Die Legenden von Andor“. Sie konnten „nur staunen, wie viele Menschen sich haben einladen lassen. Ihre Rückmeldungen und Begeisterung freuen uns total“, schreiben die Veranstalter. Weitere Veranstaltungen sind geplant, in der Zwischenzeit können die Spiele in der Stadtbücherei Neukirchen-Vluyn ausgeliehen werden.

Das spielerische Quartett: Hoffmann, Fuchs, France und Konrad

Maren Hoffmann, Martina Fuchs, Jo France und Gastkritikerin Jenny Konrad besprechen „Kuhfstein“ von Rita Modl (Schmidt), „Auf den Wegen von Darwin“ von Grégory Grard und Matthieu Verdier (Sorry We Are French), „’ne Tüte Chips“ von Mattieu Aubert und Théo Rivière (Huch) und „Mischwald“ von Kosch (Lookout Spiele). Vier Spiele, vier Meinungen.

Folge 42: Das spielerische Quartett #21

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Vier kluge Köpfe haben sich in dieser neuen Ausgabe des spielerischen Quartetts wieder zusammengefunden, um über vier aktuelle Spiele zu reden und, ein wenig, zu streiten. Vom Verein Spiel des Jahres sind dabei: Maren Hoffmann, Martina Fuchs und Jo France.

Als Gastkritikerin ist Jenny Konrad eingeladen, die – wenn sie nicht gerade Eier gestaltet – zusammen mit Jurymitglied Tobias Franke im Podcast „Cocktails for Meeples“ über Spiele spricht. Die Runde wird moderiert von Maren Hoffmann.

Besprochen werden in dieser Ausgabe: „Kuhfstein“ von Rita Modl, erschienen bei Schmidt, „Auf den Wegen von Darwin“ von Grégory Grard und Matthieu Verdier, erschienen bei Sorry We Are French, „’ne Tüte Chips“ von Matthieu Aubert und Théo Rivière, erschienen bei Huch, und „Mischwald“ von Kosch, erschienen bei Lookout Spiele.

Kritikenrundschau: FTW?! – hohe Mathematik der kleinen Zahlen

Karten aufsteigend in der Tischmitte sortieren: So kompliziert kann das ja nicht sein, selbst wenn man es gemeinsam tut. In „FTW?!“ (Friedemann Friese bei 2F) gibt es da allerdings den einen oder anderen Kniff und vor allem einiges an Kopfrechnen. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien an der Kartenmathematik versucht – und ihre Plus- oder Minuspunkte vergeben.

„Ziel ist es, Karten passend auf den Stapel in der Tischmitte abzulegen“, erklärt Harald Schrapers das Spiel. Am Ende solle man eine möglichst – bis auf die für die Siegpunkte entscheidende eine Karte – leere Hand haben. Alle Karten, die darüber hinaus überflüssigerweise noch hat, seien Minuspunkte. „Wer nicht passend legen kann – Zahlen müssen aufsteigend gelegt werden – muss eine Karte vor sich auslegen und nachziehen. Die Karte in der Auslage kann später als ‚Hilfskarte‘ verwendet werden, deren Wert zu dem einer eigentlich zu niedrigen Karte addiert wird.“

Schrapers findet „FTW?!“ nicht „wirklich intuitiv“. Das aber mache die besondere Raffinesse aus. Man brauche „erst eine Proberunde, um den ziemlich genialen Kern des Spiels zu erkennen, das taktisch recht knifflig ist“. Das Spiel habe ein raffiniertes Konzept, schreibt er, und sei eines der Spiele, die im diesjährigen „starken Kartenspieljahrgang“ besonders auffielen. Ganz ohne kritische Anmerkungen kommt „FTW?!“ bei Schrapers allerdings nicht weg: „Dass man bei ‚FTW?!‘ vor Beginn einer Runde je drei unliebsame Karten an die rechte Nachbarin schiebt, hat nur ganz selten eine praktische Auswirkung. Denn vom linken Nachbarn bekommt man meistens sehr ähnliche Karten“, meint er. Außerdem erzeuge das Spiel manchmal hohe Siegpunktdifferenzen. Das sei nicht schön, „weil es das Gefühl der Uneinholbarkeit erzeugt“. ¹

Für Manuel Fritsch ist „FTW?!“ ein „supersimples Spiel, superschnell gespielt“. Doch das Erklären sei oft schwierig. „Was verlangt meine Hand von mir? Brauche ich viele Hilfskarten, brauche ich wenig? Baue ich Druck auf? Das steckt so tief in diesem Spiel drin, dass man da zwei, drei Runden braucht, um überhaupt zu sehen, wie man dieses Spiel spielt.“ Auch in großen Gruppen funktioniere das Spiel „ganz gut“, findet Fritsch.²

Auch bei Nico Wagner hat es mit „FTW?!“ eine Weile gedauert. „Ich war auch nach ein paar Partien nicht so ganz sicher, wie ich das richtig spiele“, sagt er. Dann allerdings sei es „taktischer, als man am Anfang denkt“. Man versuche, möglichst gute Hilfskarten zu nehmen. Oder man versuche, „eine hohe Karte aus der Mitte zu nehmen, in der Hoffnung, dass du die dann am Schluss werten kannst“. Allerdings findet er auch ein paar Schwachstellen, die etwas damit zu tun haben, dass das Kartenblatt zufällig unfair verteilt sein kann oder große Punktedifferenzen entstehen können. „Aber es ist immer witzig“, sagt Wagner, „man hat dieses Kartenklopper-Feeling.“³

Auch für Tobias Franke zündet „FTW!?“ nicht direkt. „Erfahrungsgemäß braucht es meist ein paar Runden, bis ein Großteil der Mitspielenden ein Gefühl für das Spiel entwickelt hat“, schreibt er. „Ab diesem Zeitpunkt kann ‚FTW?!‘ mit seinem vorhandenem Potenzial glänzen. Denn nun kann ich besser abschätzen, was mit meinem Blatt möglich ist und was nicht.“ Dann aber würde „mächtig taktiert“, schreibt Franke. „Dabei hilft es mir, sehr genau die Spielweisen meiner Mitspielenden zu beobachten und dadurch Rückschlüsse zu ziehen. Wer will vielleicht das Spiel schnell machen? Oder werden erst einmal gemütlich eigene Kartenpools aufgebaut?“ In diesem Zusammenhang findet er auch „nicht zu unterschätzen“, dass zu Beginn der Runde drei Karten nach rechts weitergegeben werden müssen. „So kenne ich also schon den Wert von drei Karten, auf die ich später reagieren kann“, schreibt er. Für Franke ist „FTW?!“ ein „sehr cleveres Kartenspiel, das mit ein paar Gewohnheiten bricht, die wir uns im Verlaufe des Spieler-Lebens angeeignet haben. Deswegen fühlt es sich beim ersten Mal auch etwas unrund und ungewohnt an. Allerdings lohnt es sich, am Ball zu bleiben.“

¹ brett-spiel.de: Uno-Mau-Mau-Derivate: FTW?! vs. Passt nicht!
² Insert Moin: Le Brett vom 20.2.24
³ Brettagoge #221
Fjelfras.de: Speed-Dating: Surfosaurus MAX, Passt nicht!, FTW?!, Trio und Punktestadt

Kritikenrundschau: 5 Towers – Turmgebiete

Warum nur einen Turm bauen, wenn man auch fünf bauen kann? Und am besten sind sie auch noch möglichst hoch: „5 Towers“ (Kaspar Lapp bei Deep Print Games und Pegasus Spiele) ist ein Spiel, in dem Turmkarten hoch in den Himmel wachsen können – allerdings nur mit ein wenig Glück. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien als Turmbauer:innen versucht.

„Es ist ein Versteigerungsspiel, in dem wir Türme errichten“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „Jede:r von uns baut fünf Türme gleichzeitig. Um zu bauen, kaufen wir Turmsegmente. Das sind Zahlenkarten in fünf Farben und mit Werten von 15 bis Null. Jede Farbe bildet einen Turm. Und in jeder Farbe müssen meine Kartenwerte immer kleiner werden. Ist mein grüner Turm schon bei der Elf angelangt, passen dort also nur noch grüne Karten mit Werten von zehn und niedriger. Die Versteigerung läuft sehr einfach: Fünf Karten vom Stapel werden aufgedeckt. Reihum sagen wir an, wie viele davon wir bei uns draufzubauen bereit sind. Wer das höchste Gebot abgibt, muss die entsprechende Zahl Karten nehmen und verarbeiten. Dabei hilft eine kleine Ausnahmeregel: Pro Kauf darf ich eine bereits verbaute Karte abwerfen, was meine Flexibilität beim Bauen erhöht, allerdings auch zunehmend Minuspunkte einbringt.“

Bartsch sieht in „5 Towers“ die Lernkurve: „Anfänger:innen geben üblicherweise niedrige Gebote ab, weil sie ihre Türme möglichst lückenlos bauen wollen. Klar, mit der Elf einen Turm zu beginnen, ist nicht das Optimum. Doch wenn danach eine Zehn oder Neun aufgedeckt wird, nehme ich die als zweite Karte sehr gern, während alle, denen die Elf schon zu schlecht erschien, vor einer Zehn oder niedriger erst recht zurückschrecken werden. Anfangs scheut man wegen der Minuspunkte auch das Abwracken. Dabei ist gelegentlicher Abriss oft besser, als zu viele Karten kampflos der Konkurrenz zu überlassen.“ Im Spiel selbst könnten sich dabei „erhebliche Punkteunterschiede“ ergeben. „Dass jemand machtlos oder gefühlt machtlos dabeisitzt, passiert vor allem in großen Runden.“ Beim Spiel zu fünft müsse man froh sein, überhaupt Karten zu bekommen.
Bartsch lobt die „Klarheit und Einfachheit“ von „5 Towers“ sowie den Bietmechanismus der ohne eine Währung auskommt. Dennoch habe er durchwachsene Erfahrungen gemacht. „Viele Partien haben Unzufriedene hinterlassen, die das Gefühl hatten, das Spiel liefe an ihnen vorbei“, schreibt Bartsch. „Und tatsächlich gehört es zum Wesen von ‚5 Towers‘, dass man in etlichen Zügen nichts entscheidet. Oft kann man nur noch passen. Oder man hat bei seinem Gebot keinen wirklichen Spielraum, weil absehbar ist, wie hoch die Nachfolgenden bieten werden.“
Am Ende findet Bartsch das Spiel zwar „interessant“, findet aber nur selten Mitspieler:innen. „Trotz Einfachheit und Kürze eignet sich ‚5 Towers‘ nur scheinbar für ein breites Publikum und für lockere Runden mit wechselnden Mitspieler:innen. Tatsächlich scheint es mir besser aufgehoben in einer festen Runde, die sich über mehrere Partien hinweg auf das Spiel und seine Eigenheiten eingroovt.“¹

„Risikoabschätzungen und ein gewisses Timing führen zum Erfolg“, beschreibt Stephan Kessler das Spiel. „Doch wann greife ich zu? Und wann gönne ich meinen Mitspielenden die Karten nicht und sage mehr als ich schlingen könnte, nur damit sie nicht profitieren?“ Für Kessler insgesamt ein „reizvolles Unterfangen, denn die Lernkurve ist hoch und die ersten Partien muss man als Lerngelegenheiten abbuchen.“ Auch für die Grafik hat Kessler lobende Worte übrig; findet aber, dass die Farben der einzelnen Türme noch deutlicher hätten sein können. Außerdem, meint er, könnten die Partien sich bei mehr Mitspieler:innen in die Länge ziehen.²

Scharfe Worte findet Michaela Poignée in ihrer Kurzkritik: Ihr sei das Spiel „zu glückslastig und zu zufällig“. Gerade in größeren Runden: „Als wir es zu fünft gespielt haben, hat es ganz lange gedauert, bis ich überhaupt mal Karten bekommen habe“, sagt sie und konstatiert: „Dieser Kniff mit dem Bietmechanismus funktioniert teilweise nicht so richtig.“ Für Poignée ist „5 Towers“ am Ende zwar „kein schlechtes Spiel“, begeistert zeigt sie sich allerdings auch nicht.³

Für Tobias Franke stecken in „5 Towers“ „deutlich mehr Emotionen, als ich das anfangs vermutet hätte“. Die Regeln seien zwar einfach, Spannung erzeuge der „besondere Mechanismus, wie ich an die Turm-Karten für meine Baustelle komme“, schreibt er. Für ihn sei „5 Towers“ ein Timing-Spiel. „Denn ich sollte einerseits nicht zu lange mit dem Turmbau warten, andererseits aber auch nicht zu gierig sein, um am Ende nicht mehr handlungsfähig zu sein.“ Dennoch könne das Spiel auch „frustig“ werden: „Mit Glück passen alle fünf Karten perfekt in mein Konzept und ich lasse die anderen gar nicht erst an der Bietrunde teilnehmen. Genauso gut kann ich aber auch Pech haben und irgendwie will keine Karte so richtig zu meinen Bauvorhaben passen. Oder aber es passen zwei Karten super, aber da ich recht weit hinten sitze, steht dieses Gebot schon nicht mehr zur Verfügung. So kann es passieren, dass ich Partien mit sehr vielen Punkten abschließe und in anderen fernab von den anderen hinterher hinke“, schreibt Franke. Für ihn ergebe sich nicht das Gefühl, das Spiel auch nur ansatzweise steuern zu können. „Das stößt beim Kennenlernen des Spiels noch nicht übel auf, hindert mich aber daran, das Spiel immer und immer wieder auf den Tisch bringen zu wollen.“

Einige wenige lobende Worte hat Manuel Fritsch für „5 Towers“ übrig: „Nette, kleine, reduzierte Regeln“ habe es, außerdem findet er die Illustrationen von Annika Haller „ganz, ganz süß gemacht.“ Die seien „aber auch das Beste am Spiel.“ Denn in seinen Runden sei das Spiel nie gut angekommen. „Ich sehe, wo der Reiz des Spiels ist, aber ich finde es furchtbar langweilig. Keine einzige meiner Runden will das Spiel noch einmal spielen“, sagt Fritsch. Das liege einerseits an der zufälligen Auslage, die Fritsch als „unfair“ empfindet. „Man hat das Gefühl,“ sagt er, „man kann sehr viel mehr entscheiden, als man dann tatsächlich entscheiden kann.“ Als zweites stört, dass der Bietmechanismus kein mehrmaliges Bieten ermöglicht – Gebote könnten nicht erhöht werden. Das Ergebnis: In größeren Runden sei es schwer, an Karten zu kommen, man sei manchmal „ewig“ nicht an der Reihe. Fritsch zeigt sich insgesamt, trotz der Illustrationen und der elegant-simplen Regeln, enttäuscht von „5 Towers“, obwohl er sich auf das Spiel gefreut habe. „Ich hätte dieses Spiel gerne gemocht“, sagt Fritsch.

¹ Rezensionen für Millionen: 5 Towers
² Jahrgang der Kartenspiele?
³ Die Brettspieltester: Spielerischer Rückblick Nr. 7 – zehn Brettspiele im Kurzüberblick
Fjelfras.de: Speed-Dating: Schnitzeljagd, 5 Towers, Trio und Cabanga!
Insert Moin: Le Brett vom 20.2.2024 (kostenpflichtig)

Tag der Brettspielkritik · Delta Park Mannheim · 9. und 10. März 2024

TdB

Die Brettspielkritik ist ein Teil der Kulturkritik. Was bedeutet das für diejenigen, die in Zeitungen und Zeitschriften, in Onlinemedien, auf YouTube und Twitch, im Rundfunk oder in Podcasts über das analoge Spiel berichten? In Arbeitsgruppen, Gesprächsforen und Podiumsrunden möchten wir darüber diskutieren.

Wie können wir unseren Ansprüchen gerecht werden? Wie können wir den Stellenwert einer unabhängigen Spielekritik steigern? Wo und wie werden die Unterschiede zur Tätigkeit einer Influencer:in deutlich? Der Spiel des Jahres e.V. lädt Journalist:innen und Blogger:innen zum 3. Tag der Brettspielkritik ein, die sich unabhängig von Handel und Spieleverlagen in Schrift, Ton oder Bild mit dem Gesellschaftsspiel beschäftigen. Das Programm richtet sich sowohl an diejenigen, die das erste Mal kommen möchten, als auch an alle, die bereits 2019 und/oder 2022 teilgenommen haben.

DELTA PARK MANNHEIM

Samstag, 9. März 2024

9:30–10:15 NEW BOARDGAME JOURNALISM
Einführung und Moderation: Guido Heinecke, Spiel-des-Jahres-Geschäftsführer
Keynote Speech: Efka Bladukas, No Pun Included
anschließend Diskussion (englisch)

10:30–12:30 ARBEITSGRUPPEN BLOCK 1
■ Maren Hoffmann, Der Spiegel: Diamantenschliff – Teaser funkeln lassen
■ Dennis Kogel, freier Journalist: Was können wir von Feature-Podcasts lernen?
■ Fabian Ziehe, SWR: Kurz, lebendig und verständlich formulieren
■ Efka Bladukas/Elaine Bladukiené, No Pun Included: What do we owe our audience? (englisch)

13:15–15:15 ARBEITSGRUPPEN BLOCK 2
■ Nicola Balkenhol, Deutschlandradio: Podcasts ans Publikum bringen
■ Daniel Wüllner, SZ: Rote Fäden – wie man sein Manuskript strukturiert
■ Christian Köhne, Format C: Let’s film a board game – ein Making-of
■ Andreas Becker, spielbox: Wie Wörter wirken – eine Stilkritik

15:15–16:00 PODIUMSGESPRÄCH
Brettspiel in Bild und Ton, mit Nicola Balkenhol, Christian Köhne, Dennis Kogel und Manuel Fritsch (Moderation)

16:30–17:15 PODIUMSGESPRÄCH
Brettspielkritik heute, mit Andreas Becker, Maren Hoffmann, Daniel Wüllner, Fabian Ziehe und Karsten Grosser (Moderation)

17:30–18:30 GESPRÄCHSFOREN
■ Valentin Köberlein, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz: Gesellschaft, Spiel und Realität
■ Wiebke Waburg, Professorin für Pädagogik an der Universität Koblenz: Spiele und Diversität
■ André Maack, Game Development Manager bei Ravensburger: Brettspiel und Kolonialismus
■ Sarah Klöfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz: Spiel und Theater

19:15–20:00 PODIUMSGESPRÄCH
Was macht das Spiel mit den Menschen?, mit Sarah Klöfer, Valentin Köberlein, André Maack, Wiebke Waburg und Johanna France (Moderation)

20:00 SPIELEABEND

Sonntag, 10. März 2024

9:30–11:45 SPIEL UND KULTURKRITIK
Einführung und Moderation: Harald Schrapers, Spiel-des-Jahres-Vorsitzender
Input: Lino Wirag, utopia.de/oekotest.de, Medienkulturwissenschaftler
Podiumsdiskussion mit Katrin Ullmann, freie Journalistin und Theaterkritikerin, und Heiko Klinge, Gamestar, Videospielkritiker

11:45 ZUSAMMENFASSUNG: Christoph Schlewinski, stv. Spiel-des-Jahres-Vorsitzender

Anreise ist bereits am Freitag, 8. März 2024. Der Tagungsbeitrag beträgt 35 Euro. Er umfasst zwei Übernachtungen mit Frühstück in der Jugendherberge Mannheim International, den Willkommensimbiss am Freitag sowie die Mahlzeiten am Samstag. Wer im Delta Park Hotel übernachten möchte, zahlt einen Aufpreis von 154 Euro. Die Jugendherberge und das Delta Park Hotel befinden sich beide in der Nähe des Hauptbahnhofs Mannheim.

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Tag der Brettspielkritik in Hamburg